GenKI - digitaler Kindergeburtstag beim Münchner Kreis
München [ENA] Daß der Münchner Kreis seine Fachkonferenz „ChatGPT und Generative Künstliche Intelligenz" gerade am ersten Geburtstag der digitalen Plaudertasche abhielt, war zunächst nicht einmal geplant, sondern Folge einer zufälligen Terminkonstellation. Aber es paßte und bot Zeit für eine umfassende Bilanz.
Dabei konnte der Programmuntertitel "Quantensprung oder leeres Versprechen?“ niemanden ernsthaft erschrecken. Die meisten Teilnehmer hatten, wie die Abfrage zeigte, bereits eigene Erfahrungen mit der GenKI, wie sie jetzt abgekürzt wurde. Ein wenig weiter trieb Adrian Schuckart, PricewaterhouseCoopers, die Anwendung in seinem Eröffnungsvortrag, als er gewissermaßen eine Etüde in Prompt Engineering präsentierte, oder neudeutsch: Taylored Prompt Engineering.
Da wurden etwa anhand der Referentenliste deren Arbeitsgebiete ermittelt und die Kooperations- wie auch Aversionspotenziale ermittelt. Oder es wurden aus den Vornamen und deren statistischer Varianz über die Jahrzehnte hinweg die Geburtsjahrgänge geschätzt und hieraus wiederum Getränkepräferenzen fürs Mittagsmenü vermutet. M.a.W. die Macht der Statistik und errechenbarer Korrelationen läßt sich heute so effektiv wie noch nie nutzen.
Kräfteverhältnisse im Weltmarkt
Stefan Holtel, ebenfalls PwC, resümierte mit einigen Zahlen auch die jüngste Entwicklung beim Hersteller Open-AI, den Machtkampf um den weiteren Kurs des Unternehmens, den offensichtlich Microsoft für sich entschieden habe. Die Entwicklungsdynamik des großen Sprachmodells (LLM) konnte man schon vor einem Jahr beobachten, als bereits nach fünf Tagen eine Mio. Nutzer gewonnen waren. Die Börsenkapitalisierung des Unternehmens stieg von 14 Mrd. € im Jahre 2021 auf 86 Mrd. im gerade vergangenen Oktober. Und den hoffnungslosen Rückstand Europas und Deutschlands auf diesem Gebiet zeigt die Kapitalisierung des immerhin größten deutschen KI-Unternehmens Aleph alpha: 0,1 Mrd., mittlerweile auf 0,5 Mrd. gewachsen.
Immerhin scheint die Politik inzwischen aufgewacht zu sein, wie die beiden Juristen Dr. Jonathan Kropp und Dr. Julia von Imhoff in ihrer "Geschichte des AI Act und seine(r) Verwerfungen durch GenAI" nachzeichneten. Daß dieser Regulierungsentwurf schon länger in Arbeit war, als er im vorigen November durch die GenKI über den Haufen geworfen wurde, ist auch bezeichnend für die unterschiedlichen Zugänge zur Technik in den USA und Europa. Dort investiert man, hier reguliert man (was man selbst gar nicht entwickelt hat).
Bezeichnend ist auch die weitere Gestaltwerdung dieser KI-Regulierung. Am 6.12. sollte der Trilog das entsprechende Papier verabschieden, doch tags darauf wurde wegen weiterer Verhandlungen verschoben, und was schließlich als Kompromiß bekannt wurde, fand durchaus gemischte Reaktionen. Mittlerweile hat man den Eindruck, daß die Regulierungskompetenz, die sich die EU in immer mehr und immer neuen Belangen nimmt, allein schon als Ausweis ihrer Legitimierung gilt. Regulierung steht jetzt fast schon für: rationale Problembehandlung, Verbraucherschutz und notwendige wohlfahrtsstaatliche Fürsorge. Daß dies eine grob irreführende Illusion sein kann, darauf weisen nicht nur in diesem Falle die Kritiker der neuen Verordnung hin.
Daß es Anlaß zu Regulierung gibt, wird man keineswegs bestreiten. Ein erstes Indiz war der Autorenstreit bei der Filmindustrie in Hollywood. Auf der Konferenz vertrat der Fotograf Ilan Hamra, KI-Experte des BFF, die Interessen der visuellen Kreatoren, der im Spannungsfeld "GenKI versus klassische Produktion: Urheberrechtsfragen, Technik, Limits, Kreativität und Branchenkommunikation" thematisierte. Offenkundig sind Fotografen und Grafiker unmittelbar und massiv von der Substitution ihrer Arbeit durch KI betroffen, wie auch schon unser Titelbild zeigt.
Die Disruption von Kunst und Kultur
Dabei wird allerdings das Pochen auf dem Urheberrecht an den bisherigen Arbeiten der Kreatoren, das beim KI-Training übergriffig verwendet wurde, die Disruption der Branchen nicht aufhalten. Die Zahnpasta läßt sich nicht mehr in die Tube zurück drücken. Es sind Rückzugsgefechte, und selbst wenn es eine Kennzeichnungspflicht für "künstliche" Kunstwerke geben sollte - für die man durchaus eintreten kann -, wird sie deren Verbreitung und Nutzung nicht schaden - allenfalls vielleicht bei einer Randgruppe von Puristen, ähnlich wie beim ökologischen Landbau, der verachtungsvoll auf die E-Nummern bei den Lebensmittelzusatzstoffen herabschaut.
Dort wie hier ist die biologische Herkunft zu einem nachrangigen Kriterium geworden, das zur Stilisierung von Luxusprodukten dienlich sein mag. Hamra wies den Bildgeneratoren Fehler nach und bemängelte unzureichende Layoutkontrolle. Damit mag er handwerklich Recht haben, doch braucht nicht jede Publikation Kunst. Er kritisierte die Stilimitation durch die KI - und führte zugleich unübersehbar vor, wie konform und konventionell schon die bisherige Modefotografie arbeitet.
Er pochte auf Originalität und Einzigartigkeit des herkömmlichen (zumal dokumentarischen) Fotos: das (echte) Foto hat eine Geschichte, das KI-Bild hat keine. Dies wiederholt genau jenen antitechnischen Affekt, der von W. Benjamin in seinem berühmten Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" von 1935 als Verlust der Aura beschrieben wurde. Für auratische Diskurse mag das eine Bedeutung haben, den Siegeszug der Photographie konnte Benjamin nicht aufhalten, und die originäre, stoffliche Bildende Kunst hat sich bekanntlich seither neu formiert.
Wie geht die Wirtschaft mit KI um?
Ivana Radovanovic, Projektdirektorin für ganzheitliche Markenführung und Marketing und bei Mutabor für KI zuständig, konnte den Einsatz des neuen Instruments bereits anschaulich demonstrieren. Hier macht sich KI schon bei der Durchsicht der zugesandten Bilderfluten nützlich. Man könne Produktbilder nunmehr auch leicht und schnell in wechselnde Szenerien bringen und für die jeweilige Zielgruppe stilistisch anpassen. Die frei werdenden Ressourcen würden dazu verwendet, die Agentur zum strategischen Berater des Auftraggebers zu machen, also die erwähnte ganzheitliche Markenführung. Damit wird auch bereits jenes "Upskilling" realisiert, das Schuckert anfangs als Nutzen der KI benannt hatte.
Die Implementierung der GenKI in der Wirtschaft wird je nach Branche unterschiedlich stark und unterschiedlich rasch vor sich gehen. Da gibt es die Logistik, die ihre Lieferketten und Routen optimieren wird. Der telefonische und schriftliche Kundendienst wird durch Produktivitätszuwachs ebenfalls Kosteneinsparungen realisieren, das Gesundheitswesen seine chronische Überlastung lindern. Das Bildungssystem muß sich andere Lernstrategien und Leistungsnachweise zurechtlegen. Kurzum, wir sehen die nicht ganz unbekannten Effekte eines disruptiven Impulses, wie ihn einzelne Branchen ja schon vor Jahren durch "gewöhnliche" Digitalisierung erfahren haben (Uber, AirBnB, Amazon vs. Einzelhandel u.ä.)
Jetzt aber sind praktisch alle betroffen, und alle sind auch als potenzielle Akteure angesprochen, weil sie die KI direkt ansprechen können. Demokratischer geht es nicht. Es ist zwar Teilhabe von Gnaden des digitalen Hegemons, doch an diese internationale Arbeitsteilung hat man sich ja seit langem gewöhnt. Und wenn manche trotzdem die Demokratie in Gefahr sehen, verwechseln sie offenbar die Demokratie als Teilhabeprinzip mit den heutigen überkommenen Institutionen, die sich tatsächlich einer Disruption ausgesetzt sehen sollten. Dr. Johannes Winter, L3S AI Research, sprach hier u.a. den "Sieg des Laien über das Expertentum" an, - den aber notabene die Wikipedia schon seit Jahrzehnten erfolgreich organisiert.
Ein wenig Anthropologie
Insofern ist die Aufklärung nicht nur nicht in Gefahr, sondern erfährt durch KI gewissermaßen ihre Vollendung. "Das Projekt Aufklärung ist nicht gefährdet, wenn eigenständiges Denken, kritisches Urteilen, verantwortliches Handeln nicht endet!", so Winter. Dies gilt zugegebenermaßen für die bisherigen Generationen, die noch ohne KI sozialisiert wurden, während wir den Bildungsgang der nachwachsenden noch nicht kennen. Sozial haben wir zweifellos ein unbestelltes Großexperiment vor uns, ähnlich wie die "sozialen Netzwerke" des Web 2.0 bisher verborgene Züge der demokratischen Diskursöffentlichkeit ans Licht gebracht haben
Hier wurden bereits unbequeme Wahrheiten über die Verfassung der Gesellschaft gewonnen - paradoxerweise nicht zuletzt durch die im dortigen Diskurs möglichen Lügen. Auch die KI wird uns weitere Illusionen nehmen und einen Spiegel vorhalten. Der Philosoph aber kann das neue Erkenntnisinstrument nur begrüßen, da es ihm neue Wahrheit über den Menschen mitteilt: was es zum Sprechen und Argumentieren wirklich braucht, was es mit Intentionalität und Emotionalität auf sich hat - wenn sie fehlt oder wie sie allmählich verfertigt wird -, wozu man als Bewußtsein eine Außenwelt oder einen Körper braucht, und was mit dem menschlichen Bewußtsein "im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" überhaupt gemeint sein könnte.